Weg nach Emmaus (Klaus-Peter Hertzsch)
Wir wussten’s nicht, es war der Ostertag
Wir waren unterwegs bei schrägem Sonnenlicht,
da uns der Tempelberg schon längst im Rücken lag
und noch von Emmaus kein Dach in Sicht…
Sahn das Land an uns vorübergleiten,
während wir hindurchgewandert sind:
Menschen, Orte, viele Jahreszeiten,
Vogelflug in unerreichten Weiten,
hin und wieder schon der Abendwind.
Neben unsern Schritten seine Schritte,
da er sich plötzlich zu uns gesellt.
Im finstern Tal ging er in unsrer Mitte.
In unserm Zwiegespräch war er der Dritte.
Und er erklärte durch sein Wort die Welt.
Er zog mit uns in wechselnden Gestalten,
uns sehr vertraut, uns völlig unbekannt.
Zuweilen konnten wir sein Bild behalten.
Im Neugewordnen sahen wir den Alten,
und seltsam hat in uns das Herz gebrannt.
Nun, da der Tag sich neigt und wir die Tür aufklinken,
brennt schon die Lampe, ist der Tisch gedeckt,
und Brot zu essen, Wein zu trinken.
Es ist wie Anfang mitten im Versinken,
und nun am Abend werden wir geweckt.
Der dort am Tische sitzt und uns das Brot gebrochen‘
und der mit uns im Wechselwort gesprochen,
der Herr, mit dem wir redeten und handelten,
der dort am Tische sitzt und uns den Kelch gesegnet
und der so vielgestaltig uns begegnet,
er blieb sich immer gleich, doch wir sind die Verwandelten.
Noch am Abend brechen wir auf.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gäste auf unserer Homepage,
seit dem Ostermontag begleitet uns die Geschichte der Emmaus-Jünger (Lk 24,13-35). In diesem Jahr hören wir sie vielleicht noch einmal anders als bisher, weil das Weg-Thema und die Frage danach, wer an unserer Seite ist, sich in neuer und auch bedrängender Weise in den Vordergrund schieben.
Wohin gehen wir? Zwischen Jerusalem und Emmaus, zwischen Aufbruch und Einkehr findet ein ganzes Leben statt. Die Wanderung, von der hier erzählt wird, dauert länger als die beiden Stunden, die man für den Weg von Jerusalem nach Emmaus braucht. Sie dauert ein Leben lang, geht durch Tiefen und führt über Höhen. Manche Begegnung findet statt, Weggenossenschaft. Aber auch einsame Pfade müssen gegangen werden. Und manche Ahnung scheint auf, wird wahrgenommen und wieder verdrängt, kehrt später zurück in der Erinnerung: War da nicht der Klang von Schritten neben uns? „Er zog mit uns in wechselnden Gestalten.“ Kleopas und sein Gefährte haben einen Schriftgelehrten gesehen, bevor sie IHN erkannten. Maria meinte, den Gärtner zu treffen am Ostermorgen. Bevor ER sie ansprach. Die Jünger am See sehen einen hungrigen Rufer am Strand, aber dann bereitet ER ihnen das Mahl. „Brannte nicht unser Herz?“
Wo haben wir IHN gesehen? Oder einfacher: Wann brannte unser Herz? „Es ist wie Anfang mitten im Versinken.“ Solche Ahnungen sind Zeichen. Sie sprechen wie in einer noch unbekannten Sprache von einer anderen, neuen Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die sich durch die Ahnung zu einem Bild verdichtet, einem Bild, das sich einbrennt und uns nicht mehr loslässt und uns aufbrechen lässt, dem Leben entgegen. Auch dann, wenn unser „Tag sich neigt und wir die Tür aufklinken: Noch am Abend brechen wir auf.“
Mit österlichen Grüßen und Segenswünschen
Ihre
Sabine Zorn
Foto: Tom Kattwinkel