Leben gegen den Trend

Gottes närrische Botschaft Amos 5, 21-24

Liebe Gemeinde,
hatten Sie schon einmal einen Wasserschaden in der Wohnung? Ich wünsche es Ihnen nicht. Ich hatte mehrfach damit zu tun. Als ich ganz frisch Schuldekanin war zum Beispiel, musste ich feststellen, dass eine Wand in meinem Büro feucht ist. Keiner konnte sich erklären, wo die Feuchtigkeit herkommen könnte. Irgendwann tropfte es aus der Wand heraus. Am Ende hat man dann eine alte Wasserleitung gefunden, die im Bereich der Decke meines Büros bzw. des Fußbodens des Stockwerks darüber gebrochen war. Was mich dabei fasziniert hat: Das Wasser kam nicht dort aus der Wand, wo der Rohrbruch war, sondern mehr als einen Meter weiter unten und auch ein ganzes Stück neben dem Rohr. Wer schon mal mit einem Wasserrohrbruch zu tun hatte, kann vermutlich Ähnliches erzählen. Wasser sucht sich seinen Weg.
Warum erzähle ich Ihnen das? Das verrate ich Ihnen jetzt noch nicht. Stattdessen bekommen Sie ein Rätsel von mir: Was sucht sich seinen Weg – so wie das Wasser?

Worum es in der Predigt heute gehen soll, ist die Narretei. Es ist Fastnachtszeit und die Narren sind allerorten unterwegs. Ich muss leider gestehen, dass ich mit Fastnacht nicht viel anfangen kann. Offenbar bin ich da durch und durch protestantisch. Die Entgrenzung, der Überschwang, auch der viele Alkohol, der oft mit im Spiel ist, ist meine Sache nicht.
Gleichwohl habe ich große Hochachtung vor allen, die sich ehrenamtlich für die Fastnacht engagieren und die mit großer Kreativität Prunksitzungen vorbereiten, Motivwagen für Umzüge bauen, Kostüme entwerfen und was alles dazu gehört. Allen, die daran ihren Spaß haben, gönne ich diesen von Herzen.
Vielleicht bin ich auch einfach nicht mutig genug, um eine Närrin zu werden. Denn traditionell sind Narren unbequeme Menschen. Denken Sie an die Hofnarren im Mittelalter. Sie waren oft die einzigen, die dem Herrscher den Spiegel vorhalten und unter dem Mantel der Narretei Kritik üben konnten. Gelegentlich hat sie das den Kopf gekostet.

Auch die christliche und die jüdische Tradition kennt Narren. Der Apostel Paulus hat sich einmal einen „Narr um Christi willen“ (1Kor 4,10) genannt. Und schon lang vor Christus haben sich Menschen in Gottes Namen zu Narren gemacht. Wir kennen sie als Propheten. Sie waren von Gott beauftragt, Dinge zu sagen und manchmal auch zu tun, die die Mehrheit der Menschen für verrückt oder närrisch erachtet hat.
Von einem dieser von Gott zur Narretei berufenen Menschen, will ich Ihnen heute erzählen. Von Hause aus war er kein Narr und vermutlich hätte er sich nie träumen lassen, dass ausgerechnet er sich derart zum Narren machen würde, aber da begannen irgendwann diese seltsamen Träume. Schweißgebadet ist er in der Nacht hochgeschreckt: Sie kommen! Bis er gemerkt hat, dass er neben seiner Frau im Bett liegt. Dann hat er sich wieder beruhigt. In mancher Nacht musste er auch an die frische Luft.  Einmal raus und feststellen: Es war wirklich nur ein Traum. Nein, es kommen keine Heuschrecken, die das ganze Land kahlfressen. Nein, keine Feuerwalze rollt heran und brennt alles nieder.

Lang ist es her, dass dieser närrische Prophet lebte. In der Nähe von Jerusalem übrigens. Er war ein Schafzüchter vor fast 2800 Jahren. Es war eine Krisenzeit, in der er gelebt hat. Nach der wirtschaftlichen und politischen Blüte unter König David und seinem Sohn Salomo ging es nach diversen Krisen stetig bergab. Von Frieden und Wohlstand erzählte man sich noch, aber für die meisten war das weit weg. Das Land war gespalten: die Folge eines langen Konflikts um die Thronnachfolge. Und die Regierungen waren entweder schwach oder autokratisch oder beides zugleich. Auch sozial war das Land gespalten. Es gab wenige Reiche, die immer reicher wurden, und viele Arme, die immer ärmer wurden. Auch Menschen der Mittelschicht gerieten immer häufiger in finanzielle Schieflage und endeten in der Schuldsklaverei. Und das alles trotz einer phantastisch guten Sozialgesetzgebung. Korruption war an der Tagesordnung. Die Richter wurden geschmiert, was das Zeug hält. Und die Priester, die machten gerade mit bei dem Geschäft. Auch sie schauten, dass sie ihren Teil vom kleiner werdenden Kuchen abbekamen.
Was die Lage zusätzlich angespannt machte: Große geopolitische Veränderungen waren bereits im Gang. Im Osten erstarkte eine Großmacht, die sich nach Westen ausbreiten wollte. Zunächst bauten sie nur ihre Handelsmacht aus, aber es war zu merken: Sie sind aggressiv und sie wollen mehr, als nur Handel treiben.
In dieser Zeit hatte der Schafzüchter, von dem ich Ihnen erzähle, so irre Träume, dass ihm irgendwann klar war: Ich muss reden. Ich muss das Volk warnen. Wir gehen alle in den Untergang – und zwar völlig verdient, denn wir haben Gottes Weg verlassen. Ihm war klar: Durch diese Alpträume redet Gott zu mir. Von den Heuschrecken und dem Feuer habe ich Ihnen schon erzählt. Irgendwann hat er dann von einer schiefen Mauer geträumt und von einem Korb voll faulendem Obst. Er wusste: Das sind Botschaften von Gott. Gott hasst die krummen Sachen, die tagaus tagein gedreht werden. Und es ist einiges faul bei uns im Land.
Als er es nicht mehr ausgehalten hat, ist er losgegangen. Unser Narr hieß übrigens Amos. Er hat seine Schafe zurückgelassen und ging in die Zentrale der Macht. Dort hat er das getan, was das Recht des Narren ist: Er hat den Reichen, den Herrschenden und den Berufspriestern den Spiegel vorgehalten mit markigen Sätzen:

Hört her, die ihr auf den Armen herumtrampelt! Die Bedürftigen im Lande, die wollt ihr ruinieren. (Am 8,4)
Ihr trampelt auf den Hilflosen herum, die schon im Staub am Boden liegen. (Am 2,7a)
Ihr tretet das Recht mit Füßen. Ihr sammelt Gewalttaten und Verbrechen wie Schätze in euren Palästen. (Am 3,10)
Hört diese Rede, ihr fetten Kühe auf dem Berg Samarias: Ihr unterdrückt die Hilflosen, ihr misshandelt die Wehrlosen. Ihr sagt zu euren Männern: Bringt Wein her. Wir wollen uns besaufen. (Am 4,1)
Aber Gott spricht: Es kommt der Tag, an dem ich mein Volk für seine Verbrechen zur Verantwortung ziehe. (Am 3,14a)
Ihr habt das Recht in Gift verwandelt und die Frucht der Gerechtigkeit in Bitterkeit. (Am 6,12)
Ihr fordert Pachtzinsen von dem Hilflosen und verlangt hohe Abgaben an Getreide von ihm. (Am 5,11a)
Aber Gott spricht: Ich kenne eure vielen Verbrechen, und die Zahl eurer Sünden ist gewaltig: Ihr treibt den Unschuldigen in die Enge. Beim Rechtsspruch lasst ihr euch mit Geld bestechen, um die Klage der Wehrlosen abzuweisen. (Am 5,12)
Ich hasse, ja ich verabscheue eure Feste, und eure Gottesdienste mag ich nicht riechen –auch wenn ihr mir Brandopfer darbringt. Ich habe keinen Gefallen an euren Speiseopfern. Und euer Mastvieh, das ihr zum Abschluss als Opfer darbringt, soll mir nicht unter die Augen kommen. Lasst mich in Ruhe mit dem Lärm eurer Lieder! Auch euer Harfenspiel mag ich nicht hören! Vielmehr soll das Recht wie Wasser strömen und Gerechtigkeit wie ein Bach, der nie versiegt. (Am 5,21-24)

Mit dieser Botschaft ist Amos mitten hinein gegangen in die Versammlungen der Reichen, der Schönen, der Mächtigen und der religiösen Würdenträger. Sie können sich denken, dass Amos nicht willkommen geheißen wurde. Amos war ein unbequemer Narr, einer der mit einer Mission unterwegs war, und zwar mit der entscheidenden Mission von Gott: Recht und Gerechtigkeit sollen wieder in Fluss kommen – und zwar so, dass jeder es sieht und merkt.

In diesen Tagen gehen die Fastnachts-Narren auf die Straße. Auch sie prangern Missstände an. Was, wenn Amos sich unter sie mischen würde? Was wären seine Mahnreden an uns? Wo tragen wir dazu bei, dass Recht und Gerechtigkeit nicht zur Geltung kommen?
Würde Amos uns ermahnen, dass wir durch den Verbrauch von viel zu vielen Ressourcen und dem Ausstoß von viel zu vielen Treibhausgasen den nächsten Generationen das Leben schwer machen werden? Würde er uns daran erinnern, dass es schon jetzt auf der Erde genug zu essen für alle gibt – wenn man es gerecht verteilt? Uns Kirchenleute würde er sicher damit konfrontieren, dass wir nicht hinsehen wollten, dass sexualisierte Gewalt ausgeübt wird von Menschen in kirchlichen Ämtern.
Ich weiß nicht, was genau Amos sagen würde, aber ich bin sicher, er hätte etwas zu sagen und es wäre unbequem. Denn auch wir hindern Gottes Recht und Gerechtigkeit daran zu fließen.

Jetzt ist Fastnachtszeit. Die nächsten zwei Tage noch werden die Narren ausgiebig feiern. Dann folgt der Aschermittwoch und es beginnt die Passionszeit. Zeit, sich zu besinnen auf das, was wesentlich ist. Zeit, um hinter die eigenen Fassaden zu sehen.
Gott selbst hat sich zum Narren gemacht. Jesus hat sich verspotten lassen, er hat gelitten und hat sich töten lassen, um uns den Spiegel vorzuhalten: Dazu sind Menschen fähig.
Aber am Ende können wir Menschen Gott nicht aufhalten. Er ist stärker. Sein Recht und seine Gerechtigkeit fließen und suchen sich ihren Weg. Es ist an uns, dass wir unseren Beitrag leisten, dass dieses Fließen schon jetzt sichtbar und erfahrbar wird. Es ist an uns, dass wir ihm Wege bereiten. Anfangen können wir jederzeit.

Und nun komme ich zurück zum Rätsel: Was sucht sich seinen Weg – so wie das Wasser?

Gottes Recht und Gerechtigkeit.

Amen.

 

Predigt: Dr. Sabine Bayreuther, Heidelberg
Foto: fotocommunity.com  –  Das Wasser bahnt sich seinen Weg

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