Leben gegen den Trend

Der Geist und die Gaben

Liebe Leserinnen und Leser unserer Seite,
Margret Häßler, Prädikantin der Evangelischen Kirche in Württemberg und Diakonin des Berneuchener Dienstes, hat am 22. Mai 2021 bei der Eucharistiefeier des Teilkonventes des BD in der Diakonissenkirche Stuttgart die folgende Predigt gehalten, die wir Ihnen gerne mit pfingstlichen Grüßen als geistlichen Impuls zur Verfügung stellen.

„Wir empfangen mancherlei Gaben, aber wir empfangen sie alle von dem einen Geist. Wir dienen auf unterschiedliche Weise, aber wir dienen alle dem einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte und Fähigkeiten, aber es ist der eine Gott, der alles in allem wirkt. Wer aber ein sichtbares Zeichen des heiligen Geistes empfangen hat, hat es empfangen, um damit den anderen hilfreich zu sein. Dem einen nämlich ist – durch den Geist! – die Fähigkeit verliehen, der Gemeinde Weisung zu geben, wie sie praktisch leben und sich bewähren soll. Der andere hat – vom gleichen Geist! – die Fähigkeit empfangen, über das Geheimnis des Glaubens zu sprechen und es auszulegen. Der dritte hat seinen schlichten Glauben – und zwar von dem gleichen Geist, der vierte die Gabe, Menschen zu heilen, von dem gleichen einen Geist, der fünfte die Kraft, Wunder zu vollbringen, der sechste die Fähigkeit, Gottes Wort in menschlichen Worten nachzusprechen, der siebte den klaren Blick und das Urteil darüber, wo Gottes Geist wirkt und wo ein anderer, dunkler und böser Geist am Werk ist, ein achter die ekstatische Begeisterung, in der er Gott rühmt mit unverständlichen Worten, der neunte die Fähigkeiten, der Gemeinde das unverständliche Lallen zu deuten. Das alles bewirkt der eine und gleiche Geist, der seine Gaben und Kräfte jedem unter uns anvertraut, wie er will.“ (1 Kor 12,4-11; Übersetzung: Jörg Zink)

Liebe Schwestern und Brüder, unterschiedliche Bibelübersetzungen – unterschiedliche Bezeichnungen: Was Jörg Zink mit „mancherlei Gaben“ übersetzt hat, hat Luther mit „verschiedene Gaben“ übersetzt, die Elberfelder Bibel mit „Verschiedenheit und Gnadengaben“, die Bibel in gerechter Sprache schreibt von „Unterschieden und geschenkten Fähigkeiten“. Weitere Übersetzungen sind „Unterschiede und Gnadengaben“ (SLT), „zugeteilte Gaben“ (ZB), „verschiedene Zuteilungen“ (NeÜ) und „unterschiedlichste Arten von Begabungen“ (DBU).
So verschieden die Übersetzungen sind, so vielfältig ist auch die Welt. Wir müssen uns nur umschauen: In der Natur finden wir kein Blatt, das einem anderen gleicht. Und so unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedliche Berufe üben sie aus. Und wir wissen, jede und jeder ist einzigartig.
Ich bin was Besonderes, kann jede und jeder von uns sagen. Doch wenn wir ausschließlich die Unterschiede, die Gaben oder Begabungen beachten, dann fehlt etwas Wichtiges, nämlich das Verbindende.
Paulus geht es um die Unterschiede und um das Verbindende. Er schreibt an die Gemeinde in der Hafenstadt Korinth. Die junge Gemeinde ist sehr gemischt und unterschiedlich. Es ist eine manchmal explosive Mischung. Oft gibt es Streit, oft geht es hoch her, denn hier versammeln sich Menschen aus aller Welt und aus allen Milieus. Da ist von den Reichen bis zu den Sklavinnen und Sklaven alles dabei: Männer und Frauen, sicher auch Kinder, Menschen verschiedener Völker, Kulturen und Religionen.
Dauernd reiben die Menschen in Korinth sich an ihren Unterschieden. Irgendwie suchen sie aber auch einen gemeinsamen Weg. Denn auf der einen Seite kennen und leben sie ihre Verschiedenheit. Auf der anderen sind sie gemeinsam im Glauben an Gott und an Jesus Christus verbunden. Das muss doch auch zusammen gehen, oder? Irgendwie müssen auch alle zu ihrem Recht kommen.
Es gibt Begabungen, sagt Paulus. Aber sie kommen nicht allein aus den unterschiedlichen Menschen, sondern sie haben eine gemeinsame Quelle, der sie entspringen, die die Kraft dazu gibt und die sie sammelt: Gott und die göttliche Geistkraft.
Ich staune über die Fülle der göttlichen Geistgaben. Eine echt lebendige Gemeinde! Ich sehe die Menschen vor mir, die Paulus beschreibt, und ich bin sicher, er hatte auch bestimmte Menschen vor Augen: Diese Gabenfülle prallt aufeinander wie ein riesiges Feuerwerk!
Ob es wohl auch Menschen gab, die angesichts dieser reichhaltigen Gaben verzweifelten und sagten: Warum kann ich das alles nicht?
Diese Frage ist schnell beantwortet: Auch in Korinth scheint nicht jedes Gemeindeglied alles zu können. Jedes von ihnen hat ihre und seine Gaben. Aber keine hat alle Gaben auf einmal. Das lässt mich erleichtert aufatmen. Ich muss nicht alle Gaben haben. Und ich muss nicht alles können.
In Korinth gibt es eine Fülle von Gaben.Da sind Menschen, die in Weisheit reden und denken und das gern an andere weitergeben. Es gibt Menschen, die Vertrauen schenken und denen andere vertrauen. Andere haben die Gabe des Heilens, indem sie z.B. zuhören und sich dadurch neue Sichtweisen auftun. Wieder andere sagen Gottes Wort so weiter, dass es im Herzen wirken kann und Gottes Geist Änderung für ein gutes Leben wirkt.
Also, wenn ich darüber nachdenke – solche Menschen wie in Korinth, die gibt es doch auch bei uns! Eigentlich sind wir reichlich mit Gottes Geistgaben beschenkt! Vielleicht sollten wir genau hinschauen, bevor wir uns mal wieder darüber beklagen, dass es von allem mehr geben könnte.
Wir im BD könnten darüber klagen, dass wir eine kleiner gewordene Geistliche Gemeinschaft geworden sind. Gerne hätten wir jüngere Menschen unter uns, die ‚Berneuchen‘ weitertragen. Aber wir können auch einfach dankbar sein für die Fülle der Gaben, die Gott uns geschenkt hat. Und eine große Gabe ist z.B. das Gebet. Stille werden, für andere beten, Gott das sagen, was gerade so ist oder auch nur die Hände zu einer Schale geformt, öffnen für Gottes große Geschenk.
Paulus geht es nicht nur darum, wie unterschiedlich die Gaben sind. Das werden wir sehen, wenn wir das Kapitel des Briefes an die Gemeinde in Korinth weiterlesen. Denn den Christinnen und Christen in Korinth geht es auch um die Wichtigkeit ihrer Gaben. Welche Gabe ist die wichtigste? Wer kann was am besten? Wer ist darum die oder der Wichtigste? Auch darum entbrennt der Streit in Korinth.
Paulus führt alles zusammen. Er sammelt die Kraft, die aus der Fülle der Gaben entsteht, und lässt die Gemeinde weiter blicken, indem er in Vers 11 darauf hinweist, von wem diese Gaben geschenkt sind: Das alles bewirkt der eine und gleiche Geist, der seine Gaben und Kräfte jedem unter uns anvertraut, wie er will.
Gottes Gaben hat kein Mensch aus eigener Kraft. Sie werden durch Gottes Geist gewirkt. Und zwar so, wie Gottes Geist es will. Doch wir können uns dafür bereithalten, unsere Hände und unsere Herzen öffnen für Gottes Geist, der in uns und durch uns wirken will und auch wirken wird. Amen

 

Foto: Tom Kattwinkel

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