Leben gegen den Trend

Inszenierungen der Macht

Liebe Gemeinde!

Erinnern Sie sich noch an den großen Tisch von Wladimir Putin? Vermutlich haben Sie auch alle sofort Bilder im Kopf, wenn ich das Wort „Militärparade“ in den Raum werfe oder das Wort „Reichsparteitagsgelände Nürnberg“. Sicher kennen Sie auch die Bilder von maskierten und bewaffneten Islamisten mit Panzerfäusten oder von elegant gekleideten, strahlend lächelnden Königinnen beim Staatsempfang.
All diese Bilder, die ich gerade in Ihren Köpfen aufgerufen habe, sind Inszenierungen von Macht. Und es gibt noch viele weitere solcher Inszenierungen. In unserem Alltag kommen sie deutlich häufiger vor, als uns bewusst ist. Auch in der Schule. Das Aufstehen und chorische Sprechen der Schüler:innen kann als Macht-Inszenierung gelesen werden.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Macht ist nicht verwerflich. Macht ist eine Tatsache des menschlichen Zusammenlebens. In den unterschiedlichen Sphären des Zusammenlebens haben Menschen unterschiedlich viel Einfluss.
Inszenierungen von Macht sind gleichwohl interessant, denn nicht immer deckt sich die Inszenierung mit der tatsächlichen Macht. Putins riesiger Tisch etwa oder die fahnenschwenkenden Hamaskämpfer mit ihren Panzerfäusten und Maschinengewehren suggerieren, dass ihre Macht groß sei, größer als sie in Wahrheit ist.

Wir haben eben das Evangelium für den 1. Advent gehört: Jesu Einzug in Jerusalem. Auch diese Geschichte ist eine Inszenierung von Macht – allerdings eine unerwartete und ungewöhnliche Inszenierung. Und wenn Sie Ihr Liedblatt zur Hand nehmen und sich noch einmal Psalm 24 anschauen, den wir vorhin im Wechsel gebetet haben, dann finden Sie auch dort eine Inszenierung der Macht: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“ Es geht hier um den triumphalen Einzug eines mächtigen Königs.
Anhand von Psalm 24 will ich Sie in dieser Predigt mit auf die gedankliche Reise nehmen, wie das ist mit Gottes Macht und mit uns Menschen.

Ich lese Ihnen Psalm 24 noch einmal vor – diesmal in der Übersetzung der Basisbibel:

1VON DAVID, EIN PSALM.
Dem Herrn gehört die Erde mit allem, was sie erfüllt.
Ihm gehört das Festland mit seinen Bewohnern.
2Denn über dem Meer hat er die Erde verankert,
über den Fluten der Urzeit macht er sie fest.
3Wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn
und wer darf seinen heiligen Ort betreten?
4Jeder, der mit schuldlosen Hände
und ehrlichem Herzen dort erscheint!
Jeder, der keine Verlogenheit kennt
und keinen Meineid schwört.
5Wer das tut, wird Segen empfangen vom Herrn
und gerecht gesprochen von Gott, der ihm hilft.
6Dies ist die Generation, die nach ihm fragt:
Sie suchen dein Angesicht, Gott Jakobs. (Sela.)
7Ihr Tore des Tempels, seid hocherfreut!
Ihr Türen der Urzeit, öffnet euch weit-
Es kommt der König der Herrlichkeit!
8Wer ist der König der Herrlichkeit?
Es ist der Herr – er ist stark und mächtig!
Es ist der Herr – er ist machtvoll im Kampf!
9Ihr Tore des Tempels, seid hocherfreut!
Ihr Türen der Urzeit, öffnet euch weit!
Es kommt der König der Herrlichkeit!
10Wer ist der König der Herrlichkeit?
Es ist der Herr der himmlischen Heere.
Er ist der König der Herrlichkeit! (Sela.)

Diese zweite Hälfte des Psalms ist für uns fest mit der Adventszeit verbunden. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ – Wenn das gesungen wird, dann ist Advent, zumindest für mich. Und das singt sich auch so schön und so leicht, doch wenn man sich den Psalm 24 genau anschaut, dann ist das gar nicht so leicht, was da steht: Die Tore des Tempels sollen sich freuen und die Türen der Urzeit sollen sich öffnen. Im hebräischen Original steht, dass sie emporgehoben werden sollen. Wir sprechen hier nicht über moderne Haustüren, die sich wie von allein bewegen sollen, sondern um uralte, riesige Tore, deren Ausmaße unsere Vorstellungskraft erst einmal überschreiten. Diese werden sich bewegen, sie werden gleichsam aus den Angeln gehoben, wenn Gott kommt.
Angesichts dieser Inszenierung von Macht, wird Putins Tisch zum Katzentischchen und die Panzerfäuste der Hamas zu Feuerwerkskörpern. Aus diesen Worten des 24. Psalms wird deutlich: Gott hat die Macht; er hat mehr Macht als alle und alles, was auf Erden ist, denn ihm gehört die Erde. „Die Erde ist des Herrn.“ Er hat die Erde geschaffen. Am Anfang, als es nur Finsternis und Chaos gab, hat Gott das Licht geschaffen und alles geordnet. Finsternis und Chaosmächte hat er in ihre Schranken gewiesen, damit für Gottes Schöpfung ein guter Lebensraum entsteht. Mehr Macht als der Schöpfer der Welt kann keiner haben.
Angesichts dieser Machtfülle müssten wir Menschen uns eigentlich ganz klein fühlen. Und so wird im Psalm 24 auch gefragt: Wie kann man diesem Gott denn begegnen? Welche Voraussetzungen muss man dafür erfüllen?
Sicher kennen Sie Erzählungen von Königen, die sich wie Götter haben verehren lassen, weswegen ihre Untertanen sie nicht anschauen durften. Gebeugt und auf Knien rutschend musste man ihnen nahen.
Von denen, die sich Gott nähern wollen, wird äußerlich nichts erwartet. Wer zu Gott kommen will, muss sich nicht unterwerfen. Doch das, was erwartet wird, ist gleichwohl anspruchsvoll: schuldlose Hände, ehrliche Herzen, Unkenntnis der Verlogenheit und tiefste Aufrichtigkeit sind die Voraussetzungen, um sich Gott zu nähern. Wer darf dann kommen? Wessen Hände sind schuldlos? Wessen Herz durch und durch ehrlich? Wer lügt nie und ist immer aufrichtig? Man fühlt sich irgendwie ertappt von diesen Fragen.
Und zugleich steht eine Verheißung im Raum: Wer sich so verhält, der wird Segen empfangen vom Herrn und wird gerecht gesprochen von Gott, der ihm hilft. Wenn Gott seine Hilfe verheißt, dann dürfen vielleicht doch auch die kommen, die den Anforderungen nicht ganz genügen.

Gott ist mächtig, aber er fordert keine Unterwerfung. Und so sind Gottes Inszenierungen der Macht auch anders, als wir es von menschlichen Machtinszenierungen gewohnt sind:
Nicht einmal ein Pferd nimmt er für seinen Einzug in die Hauptstadt, sondern einen Esel. Keine militärischen Ehren werden ihm zu teil, sondern das einfache Volk jubelt ihm zu und macht ihm einen Teppich aus Palmzweigen und Kleidern.
Er lässt sich ans Kreuz schlagen wie ein Schwerverbrecher. Der maximale soziale Abstieg ist Teil seiner Inszenierung. Wenn sich hier einer unterwirft, dann ist es Gott, der sich abgründigster menschlicher Gewalt unterwirft. Gott macht sich angreifbar. Er sucht die Nähe der Menschen und erleidet alle Bosheit, zu der Menschen fähig sind. Menschen, an deren Händen Blut klebt, Lügner und Betrüger, Verräter und Feiglinge. Zu ihnen kommt Gott, er stellt sich mit ihnen – mit uns – auf dieselbe Stufe.
Mit seiner Menschwerdung in Jesus Christus inszeniert Gott seine Macht von Anfang an unerwartet und eigentlich verstörend: Gott, der der Inbegriff von Macht ist, Gott, dem die Erde gehört und alles, was darinnen ist, er kommt zur Welt als zerbrechliches und absolut angewiesenes Baby. Nicht in einem Palast, sondern in einem Stall. Noch nicht einmal ein Zimmer mit einer Tür, die sich öffnen könnte, stand zur Verfügung für die Ankunft Gottes in dieser Welt.
In Jesus zeigt uns Gott, wie wir Menschen sein sollen: schuldlos und ehrlich, reinen Herzens. Es wird von uns keine Unterwerfung gefordert, sondern Läuterung. Die Tür zu Gott steht offen. Wer Gott wirklich sucht, der wird diesen Weg der Läuterung gehen. Am Ende dieses Weges steht eine Verheißung: Gott wird den Suchenden segnen, er wird die Suchende gerecht sprechen. Es wird dann keine Inszenierungen der Macht mehr brauchen, sondern es wird endlich Frieden sein.
Amen.

Predigt: Dr. Sabine Bayreuther (BD)
Foto: https://comboni.de/einzug-in-jerusalem – Friedbert Simon

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