Leben gegen den Trend

Gast sein einmal …

Viele von uns werden am Buß- und Bettag nicht zur Kirche gehen können. Deshalb finden Sie hier einen Impuls zu Off 3,14-22 von Pfrn i.R. Sabine Zorn (BD) und Pfrn Katrin Sonnemann, Hagen.

Laodizea. Christinnen und Christen sind auf den Weg zum abendlichen Gottesdienst durch das Zentrum der Stadt, wo das Leben pulsiert. An den breiten Straßen reiht sich Gebäude an Gebäude: schicke Häuser, neu gebaut, Bäder, Markthallen, Versammlungsplätze, Tempel, mit Skulpturen geschmückt und breiten Treppen. Vor kurzer Zeit erst hat ein Erdbeben vieles zerstört, aber Laodizea ist ohne die angebotene Hilfe aus Rom wieder aufgebaut worden. Man war zu stolz, um etwas von anderen anzunehmen: „Wir haben genug!“ – die Antwort in die Hauptstadt des Kaiserreiches. Der Tuchhandel, ein florierendes Bankwesen und die Produktion teurer Heilmittel ist die Grundlage des Reichtums, der Vielen das Leben angenehm macht. Die Wirtschaft hat sich schnell wieder erholt, auf der Skala des „Glücksatlas“ wird die 10 oft angekreuzt. Mittendrin in der Stadt die christliche Gemeinde beim abendlichen Gottesdienst. Dort hören die Menschen, was ihnen der Seher Johannes aus seinem Exil auf der Insel Patmos schreibt. Es ist das, was ihm der Geist Gottes diktiert hat:

[Und] dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Nach dem Verlesen dieses Briefes herrscht betretenes Schweigen und ich halte auch den Atem an. Da sind Menschen, die sich darum bemühen, den Willen Gottes zu erfüllen. Sicher nicht einfach in einer Umgebung, die von den unterschiedlichsten Glaubensrichtungen und Weltanschauungen geprägt ist. In der die Wirtschaft den Takt vorgibt, in der Handel und Geschäftsverbindungen wichtig sind, in der das Geld regiert, jeder auf sein eigenes Fortkommen bedacht ist und jeder auf seine Familie, seine Freunde, auf die kleine Gemeinde konzentriert ist, um mitreden und mitmachen zu können. Kompromisse sind im Leben unvermeidlich. Den eigenen Glauben als Privatsache betrachten, nicht laut werden gegen Ungerechtigkeit und sich arrangieren mit dem Gegebenen, so schlimm kann das doch nicht sein. Rastlosigkeit bestimmt manche mit Blick auf die große Politik, die kleine Gemeinde ist ein angenehmer Rückzugsort. Aber jetzt muss sie sich anhören: „Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist… Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“

Das trifft. Es ist eine verstörende Mahnung, die aus dem Sendschreiben des Sehers Johannes nicht nur nach Laodizea, sondern bis zu uns heute kommt. Wie ein Spiegel hält dieser Brief ihnen und uns die Frage vor: Wie sieht es aus mit Euch aus, dem angepassten Glauben, der eingerichteten Gemeindewelt, der Überzeugung vielleicht, den Durchblick zu haben – anders als andere?

Was den Christ*innen in Laodizea zum Vorwurf gemacht wird, ist ihre Selbsteinschätzung und Selbstgewissheit, ihre fehlende Selbstkritik. „Ich bin genug und habe genug und brauche nichts!“Materiell gemeint bei den einen, geistlich vielleicht bei den anderen. Diese Haltung ist es, die kritisiert wird, ihre Selbstgenügsamkeit und Gleichgültigkeit, das „Verlorengeben der Glut des Evangeliums.“ Die Christen in Laodizea haben in ihrer umtriebigen Zeit mit vielen Herausforderungen den Blick auf die Mitte ihres Glaubens verloren. Sie wissen nicht mehr, was oder wer ihr einziger Trost im Leben und im Sterben ist. Und weil sie das nicht mehr wissen, steht genau der vor der Tür und klopft an.

Denn so heißt es im Heidelberger Katechismus, in der ersten Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.“ Hier ist der Name genannt, der im Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea nur umschrieben wird, so wie fromme Juden den Namen Gottes nicht aussprechen, sondern umschreiben. Aber von Anfang an ist klar, von wem Johannes schreibt: von Jesus Christus, dem Amen wie er ihn nennt, also dem letzten und gültigen Wort Gottes von dem, der von Anfang an bei Gott war, selbst Gott ist. Der steht nun vor der Tür der Gemeinde in Laodizea, der steht vor unserer Tür und klopft an.

Viele von uns kennen dies Kinder-Abendgebet: „Ich bin klein, mein Herz ist rein. Soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Auch hier das Bild der Wohnung, an deren Tür der Herr klopft, um Einlass zu finden. Dabei waren wir, ohne dass es uns bewusst war, dem gleichen Missverständnis aufgesessen wie die Christen in Laodizea. „Mein Herz ist rein“ haben wir gesagt, nicht „mach rein“, wie es eigentlich und richtig heißen muss. Das klingt ähnlich wie die Haltung: „Ich bin genug und habe genug und brauche nichts!“ Aber so kann man sich täuschen! So kann man sich auch täuschen, wenn man meint, mit Anstand und gesundem Menschenverstand durchs Leben zu gehen sei nicht nur richtig, sondern auch schon genug. Wenn wir um uns selbst kreisen bleibt der Platz in der Mitte oft genug leer.

Christus steht vor der Tür und klopft. Er klopft nicht nur an die Herzenstür jedes Einzelnen, sondern auch an die Türen der Gemeinden und Kirchen. Aber er tut es nicht als derjenige, der die falschen Haltungen und Handlungen bestraft, sondern der seine Hilfe anbietet und den richtigen Weg weist. Gericht kommt von Richtung und nicht von Urteil. Es geht um die richtige Richtung, wenn wir am Buß- und Bettag auf die Klopfzeichen an unseren Kirchen- und Herzenstüren horchen. Das ist das Wichtigste, das Grundlegende, das Evangelium dieses Tages. Denn das Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea und an die Gemeinden in aller Welt gehört am Besten von hinten her gelesen. Von der Verheißung her: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“

Was die Christ*innen damals gehört haben, ist deutlich geworden: den Ruf des Geldes, der unsere Synoden wieder beschäftigen wird und die Sitzungen unserer Gremien, die Verlockung des Ansehens, die Versuchung der Selbstgefälligkeit. In manchem davon mögen wir uns wiedererkennen. Ihnen damals wie uns heute, so viele Jahrhunderte später, wird eine Änderung der Blickrichtung empfohlen: Nicht mehr auf uns selbst zu schauen, sondern auf Christus, der anklopft und in die Mitte tritt. Und der mit diesem Schritt nicht nur in die Mitte tritt, sondern selbst die Mitte werden will in unserem Leben.

Nur wie ?

„Ach, dass du kalt oder warm wärest!“ – schreibt Jesus durch Johannes. Kalt oder warm sein, nicht lau. Deutlich spürbar sein in unserem Christsein – das ist Gottes Wunsch. Ich kenne den Wunsch nach Ruhe und Aufatmen in den Räumen des Glaubens, nach dem sich-zurückziehen-Wollen von der Welt und ihren Ängsten und Aufgeregtheiten. Richtig, sagt Johannes, ist das nicht. Oder vielleicht nur eine Zeit lang. Bis wir wieder gut ausgestattet sind von Jesus, mit geläutertem Gold, weißen Kleidern und durch Salbe geheilten Augen: „Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht.“ Jesus stattet uns aus , damit wir wieder eifrig sein zu können – voller Energie: kalt und warm. „Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Hier ist nicht mehr die Rede von falscher Lauheit. Hier ist Energie. Der Gast vor der Tür wird zum Gastgeber in unserer Mitte und speist uns nicht ab mit Lauem. Wir sind seine Gäste mit dem was wir mitbringen und dann endlich loslassen können. Buß und Bettag ist der kirchliche Feiertag, wo wir Selbstgerechtigkeit und Selbstbezogenheit loslassen können in unseren eng gewordenen Welten in Laodizea oder wo immer wir leben. Wir sind nicht mehr Gastgeber, die Rollen wechseln. In unseren eigenen Lebensräumen werden wir Jesu Gast und lassen los – kein „nach allem fassen“, wie Rainer Maria Rilke es weiß:

Gast sein einmal. Nicht immer selbst seine Wünsche bewirten mit kärglicher Kost. Nicht immer feindlich nach allem fassen – einmal sich alles geschehen lassen und wissen: Was geschieht, ist gut.

„Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Was hindert, dass wir öffnen?

 

Foto: Tom Kattwinkel

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