Leben gegen den Trend

Wegkreuzungen

Predigt zu Septeuagesimae 2025, Prediger 7 15-18

Liebe Schwestern und Brüder im Berneuchener Dienst,
liebe Leserinnen und Leser auf unserer Internet-Seite!

ich kann mich gut an ein Weihnachtsgeschenk erinnern. Ein Jahr zuvor hatte meine Schwester ein neues modernes Fahrrad bekommen. Nun hatte ich auch ein Fahrrad bekommen, aber ein gebrauchtes und angemaltes Fahrrad.  Ich war enttäuscht und fand es ungerecht. Ich wusste, dass meine Eltern zu der Zeit finanzielle Probleme hatten. Daher hatte ich meine Enttäuschung runtergeschluckt.
Wann fanden Sie mal, dass Sie ungerecht behandelt wurden?
Ich glaube, das haben wir alle einmal erlebt.

Das Leben spielt uns manchmal übel mit.
Da sagt eine 63-jährige Patientin: wieso habe ich diesen Tumor bekommen, womit habe ich das verdient? Ich habe gesund gelebt und habe anderen Menschen geholfen, wo ich nur konnte.
Und dann gibt es andere, die rauchen wie ein Schlot und werden uralt wie Helmut Schmidt. Das Leben ist ungerecht! Gott ist ungerecht!

Das haben Menschen vor langer Zeit auch beobachtet. Ich lese aus der Basisbibel Prediger 7, 15 -18;
15Beides habe ich beobachtet in meinem vergänglichen Leben.
Da ist ein gerechter Mensch. Der kommt ums Leben, obwohl er die Gebote befolgte.
Und da ist ein ungerechter Mensch. Der hat ein langes Leben, obwohl er Böses tat.
16Darum rate ich dir: Sei nicht übertrieben gerecht und bemühe dich nicht, überaus klug zu sein! Warum willst du dich selbst zerstören?
17Handle aber auch nicht allzu gottlos, und sei nicht töricht!
Warum willst du vor deiner Zeit sterben?
18Man sagt: »Gut ist es, wenn du das eine anpackst und auch von dem anderen deine Hand nicht lässt.«
Denn wer Gott ernst nimmt, dem gelingt beides.
Das Leben ist ungerecht. So könnte man es wohl fassen. Moralisches Verhalten zahlt sich anscheinend nicht aus. Denn wie sagt man: „Du weißt doch, schlechten Menschen geht es immer gut.“ Zum Glück wissen wir, dass diese Behauptung so nicht immer stimmt.
Es gibt kein Handeln oder Unterlassen, das vom Leben, Schicksal oder von Gott belohnt oder bestraft wird.
Allzu vieles steht nicht in unserer Macht
Und der Prediger geht noch weiter und sagt: dem Unhold widerfährt Glück und der Ehrliche ist der Dumme! Sollte man da nicht gottlos werden? Kümmert sich Gott nicht um mich, kümmere ich mich nicht um ihn.

Die Weisheit des Predigers lautet: Sei nicht allzu gottlos. Bedeutet das, dass ein bisschen Gottlosigkeit erlaubt ist? Eine unerhörte Botschaft der Bibel, die uns sonst etwas ganz Anderes sagt. Z.B. in der radikalen Moral der Bergpredigt Jesu: Tu Gutes über das Maß hinaus. Will jemand dein Hemd, so gib ihm auch einen Rock dazu. Zwingt der verhasste römische Soldat dich als lebendes Schutzschild gegen rebellische Angriffe eine Meile mitzugehen, so gehe freiwillig eine zweite Meile mit.
Der Prediger würde zu Jesus sagen: Das ist naiv, blauäugig. Das kannst du als Erlöser und Gottessohn erfüllen. Aber wir Menschen können nur danach streben, und dennoch nicht erfüllen, wie wir allzu menschlich denken und handeln. Immer sind wir mit unserem eigenen Egoismus behaftet. Und wo endest du, Jesus, mit diesem Weg der Gutherzigkeit und Gewaltlosigkeit? – Am Kreuz!
Warum willst du vor deiner Zeit sterben?

Sei nicht allzu gottlos, das bedeutet: setze dich nicht über Gott hinweg. Setze dich selbst nicht immer an erste Stelle. Setz dich nicht über Gottes Gebote hinweg. Sie haben einen Sinn für dein Leben.
Nur weil große Frevler mit allem Möglichen durchkommen, macht es das nicht besser. Nur weil alles Mögliche geht, sollte man nicht alles Mögliche Wirklichkeit werden lassen. Oder mit einem weisen Ausspruch des Paulus: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.“(Kor.)

Nur auf meine egoistischen Bedürfnisse, Reichtum, Erfolg und Macht zu schauen, hat Schattenseiten. Menschen lieben dich vielleicht nur wegen des Geldes oder um der Macht Willen. Gier und Respektlosigkeit lassen einen Menschen einsam werden. Unrecht erzeugt Widerstand. „So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. Menschen werden ihres Lebens trotz allem Reichtum nicht froh.

Der Prediger rät zur Weisheit, der Umsicht, der Abwägung und Geistesgegenwart. »Gut ist es, wenn du das eine anpackst und auch von dem anderen deine Hand nicht lässt.« Das eine tun und das andere nicht lassen.
Der Prediger öffnet zwischen Gutmensch und Bösewicht einen dritten Weg. Keine scharfe Trennung zwischen „entweder- oder“, „schwarz oder weiß“, „gut oder böse“, „Sonnenschein oder Regen“. Dazwischen gibt es nicht nur Grautöne, sondern viele andere Farben des Regenbogens.
Er geht einen versöhnlichen Weg. Er rät zur Kompromissfähigkeit. Dazu braucht es Menschen, die „sich alle Dinge zum Guten dienen lassen“.
Wie können wir es wirken, dass das Leben für mich wie auch für den Anderen einigermaßen gut ist? Dazu braucht es Menschen, die Vertrauen haben, trotz der Ungerechtigkeit in der Welt. Menschen, die Vertrauen haben, dass das Leben trotz allem einen Sinn hat.
Ein Sinn kann darin bestehen, wie man mit Ungerechtigkeiten umgeht. Ein Sinn kann heißen: ich vertraue Gott, der mich durch Höhen und Tiefen trägt. Ein Sinn beutet: liebe Familienangehörige und Freunde um sich zu wissen.

Wie kann die 63-jährige Frau mit ihrer Erkrankung umgehen, was hilft ihr dabei? Sie berichtet mir von dem süßen Enkelkind, dass gerade mal 3 Monate alt ist. Sie will die ersten Schritte miterleben. Wie sie davon erzählt, leuchten ihre Augen und sie fühlt den Lebensmut.

Und ich und mein Fahrrad? Später habe ich mein Fahrrad geliebt, gerade weil es so anders war, als die der anderen, und weil es mich von den Busfahrten unabhängig machte.

Krankheit und Lebensmut, Unglück und Glück, Recht und Unrecht, Arm und Reich, Macht und Ohnmacht. Wir können uns vieles in unserem Leben nicht aussuchen. In manchen Geschehnissen müssen wir unser Kreuz tragen, in andern Dingen wehren wir uns.
Uns hilft eine demütige Haltung: weil wir nicht alles in unserem Leben machen können. Gleichzeitig eine kämpferische Haltung, weil wir einiges verändern können. Und eine Haltung des Kompromisses oder der Integration: wir finden einen Weg damit umzugehen oder einen Weg, der sowohl für mich und den Anderen passt.

 

Das ist keine Mittelmäßigkeit. Das ist ein Ringen um Gleichgewicht. Ein Ringen um Gerechtigkeit. Ein Ringen, wie wir leben können. Das gilt für unser kleines Leben wie auch im großen Weltgeschehen und in der Politik, auch wenn Menschen wie Trump, Musk oder Putin das Gegenteil behaupten

So beten wir mit dem Gebet von Reinhold Niebuhr: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Denn wer Gott ernst nimmt, dem gelingt beides, samt dem goldenen Mittelweg.

Amen

Predigerin: Barbara Neudeck (BD) Diakonin
Foto: bekannt

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