Liebe Gemeinde,
zu Anfang ein Gedicht von Ferdinand von Saar, 1833-1906, österreichischer Schriftsteller
Herbst
Der du die Wälder färbst,
Sonniger, milder Herbst,
Schöner als Rosenblüh’n
Dünkt mir dein sanftes Glüh’n.
Nimmermehr Sturm und Drang,
Nimmermehr Sehnsuchtsklang;
Leise nur atmest du
Tiefer Erfüllung Ruh‘.
Aber vernehmbar auch
Klaget ein scheuer Hauch,
Der durch die Blätter weht:
Dass es zu Ende geht.
Ich weiß nicht wie es Ihnen geht: ich liebe den Herbst mit seiner bunten Blätterpracht. Aber gleichzeitig packt mich die Wehmut, dass ein langer Winter bevorsteht, wo die Bäume kahl dastehen und sich die Farben der Natur in matt oliv-ocker verwandeln. Und ich kenne einige Menschen, die unter dem November-Blues leiden.
Und die Themen des sich zu Ende neigenden Kirchenjahres, tragen zu dieser Stimmung bei: Allerseelen, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Ewigkeitssonntag, Totensonntag. Schwere Themen!
Unser heutiger Predigttext gibt uns eine Antwort, wie wir mit dem Schweren – oder trotzdem – leben können:
Rö 8,18 – 25 Mischung aus BB und HfA18
Ich bin überzeugt: Das Leid, das wir gegenwärtig erleben, steht in keinem Verhältnis zu der Herrlichkeit, die uns erwartet. Gott wird sie an uns offenbar machen. 19Darum wartet die ganze Schöpfung sehnsüchtig und voller Hoffnung auf den Tag, an dem Gott seine Kinder in diese Herrlichkeit aufnimmt. 20Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen –allerdings nicht durch eigene Schuld. Vielmehr hat Gott es so bestimmt. Damit ist aber eine Hoffnung verbunden: 21dass sie zusammen mit den Kindern Gottes einmal von Tod und Vergänglichkeit erlöst und zu einem neuen, herrlichen Leben befreit werden. 22Wir wissen ja: Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz wie in Geburtswehen – bis heute. 23Und nicht nur sie: Uns geht es genauso! Auch wenn Gott uns bereits jetzt seinen Geist als Anfang des neuen Lebens gegeben hat, seufzen in unserem Innern. Denn wir warten ebenso darauf, dass Gott uns endgültig als seine Kinder annimmt. Dabei wird er auch unseren Leib von der Vergänglichkeit befreien. 24 Darauf können wir zunächst nur hoffen und warten, obwohl wir schon gerettet sind. Hoffen aber bedeutet: noch nicht haben. Eine Hoffnung, die wir schon erfüllt sehen, ist keine Hoffnung mehr. Denn was einer schon hat und sieht, darauf braucht er nicht mehr zu hoffen. 25Hoffen wir aber auf etwas, das wir noch nicht sehen können, dann warten wir zuversichtlich darauf, dass es sich erfüllt.
„Naja“ – werden Sie mir sagen: „Dass die Erde nicht erlöst ist und seufzt, ist bekannt. Wir erleben es tagtäglich. Persönlich: durch eine Krankheit oder durch Gebrechlichkeit. In der Welt: durch die Kriege und Gewalt. In der Natur: in den Erdbeben, Tornados und anderen Naturkatastrophen. Was hilft uns da eine zukünftige Herrlichkeit, die all das aufwiegt?“ Ist das nicht ein billiger Trost – diese Jenseitsvertröstung? Jetzt ist die Not ist groß, wie sollen wir warten und ausharren? Wie soll Gottes Versprechen, uns und die Schöpfung zu erlösen, jetzt helfen?“
Wissen Sie, was Viktor Frankl, das Senfkorn, Luthers Apfelbäumchen und Sand und Licht gemeinsam haben?
Viktor Frankl, ein österreichischer Psychiater und KZ – Überlebender hat erkannt, wie wichtig Hoffnung und Sinn im Leben sind. Das half ihm im KZ zu überleben und mit der Trauer um seine Familie, die in den KZ getötet wurden, umzugehen. Das half seinen Patient:innen zur Suizidprävention.
Paulus schreibt: wir sind schon gerettet – das ist unser Glaube. Aber wir sind noch nicht befreit, erlöst. Wir leben zwischen „ist schon“ und „noch nicht“. Die Hoffnung auf Gottes Versprechen der Erlösung. Dass er so wie er an Jesus Christus getan hat, so auch an uns handelt: zur Auferstehung und zum Anbruch einer neuen Schöpfung.
Schöne Worte – aber was hilft es im Jetzt?
Und doch: Jesu Auferstehung und Gottes Versprechen haben eine Wirkung – klein, wie ein Senfkorn – in unseren Glauben hineingelegt. Das kleine Korn will und wird immer wieder wachsen.
Das ist Gottes Schöpfungswesen: Er kommt nicht mit lauten Posaunen und Knall. Er legt etwas Kleines in uns an: die Sehnsucht und die Hoffnung. Er wartet, dass es sich in uns entwickelt, dass wir es in uns endeckten, hegen und pflegen, es zu unserem Eigen machen. So wird aus einem Senfkorn ein Baum, aus der Sehnsucht Hoffnung, aus der Hoffnung der Glaube, aus dem Glauben die Liebe. Und es wächst weiter – unausrottbar, solange Menschen an Gott glauben.
Und diese Menschen werden tun, wie das Zitat, welches Luther nachgesagt wird: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“. Ein Apfelbäumchen namens Frieden.
Und wenn es noch so viele Kriege gibt, glaube ich an den Frieden. Ich werde das Meine dazu beitragen – angefangen bei mir, im Kleinen – um eine bessere Verständigung, um Versöhnung. Ich glaube daran, dass Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet werden. Oder zu Töpfen, die Hunger stillen können. Die Kriege werden mir die Hoffnung und den Glauben an einen Frieden nicht nehmen können. Frieden für alle Menschen, für die Würde des Menschen, ohne Ansehen der Person, Religion, Herkunft, Geschlecht, Lebensweise, usw. Dafür setzte ich mich ein, dafür gehe ich auf die Straße. Ich will dem Abknicken, dass die Realität so sei und man nicht ändern könne, mich entgegenhalten. Und ich weiß, dass viele von Ihnen auch so denken und handeln!
Dafür ist Jesus gestorben, weil er sich bedingungslos für die Liebe und den Frieden eingesetzt hat. Er war der Sand im Getriebe in der damaligen Zeit.
Vielleicht gibt es das Leben danach und die Erlösung von der Vergänglichkeit und dem Tod, die Befreiung der Schöpfung, aber die Hoffnung ist heute schon. Diese Hoffnung wirkt heute. Die Hoffnung schenkt mir Sinn, um heute und morgen zu leben, und dieser Sinn lässt mich für das Leben einstehen.
Die Hoffnung ist wie die kleine Kerze, die einen ganzem dunklen Raum erhellen kann.
So habe ich das Licht in Menschen, mit einer palliativen Erkrankung gesehen, die mich als Seelsorgerin reich beschenkt haben.
Ja, die Welt und wir leiden, wir seufzen und sehnen uns nach Befreiung – und gleichzeitig ist da dieses Licht, dieses Samenkorn der Hoffnung heute schon wirksam, in mir, in dir, in uns allen.
Gott sei Dank für sein Senfkorn Hoffnung, das er in uns angelegt hat. Möge es wachsen und Frucht bringen und dass wir unter seinem Schatten Friedensgespräche führen können.
Amen.
Predigerin: Barbara Neudeck (BD) Diakonin
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