Liebe Schwestern und Brüder,
Der Wochenspruch für diesen Sonntag Sexagesimae lautet: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht.“
Es gibt viele Arten des Hörens:
Genau hinhören, mit halbem Herzen hören, auf Durchzug schalten: da rein und da raus, selektives Hören, und, und…
Wenn ich nun unseren Predigttext lese: wie hören Sie ihn?
Hebr. 4, 12-13
Denn lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zu Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen des Herzens; vor Ihm bleibt kein Geschöpf verborgen, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden.
Was haben Sie gehört?
Also mir ging es gar zunächst nicht gut mit dem Text: ich hörte: superscharfes zweischneidiges Schwert, es scheidet bis ins Innerste, nichts bleibt verborgen, ich bin schuldig. Punkt.
Wow – wie hart ist diese Kost!
Ja, das steht da! Es ist nicht zu beschönigen! Und es trifft mich!
Treffende Worte können unangenehm sein. Denn solche Worte legen die Wahrheit über mich frei. Und die ist keineswegs nur rosig! Meine ganzen Schattenseiten, bösen Gedanken und dunklen Gefühle tauchen auf – ich kenne mich doch! In der Regel kann ich sie gut verborgen halten. Aber jetzt trifft mich jedes Wort und stellt mich in Frage: wo bist du, Mensch? Wie stehst du zu Gott? Was machst du mit deinem Leben?
Natürlich gibt es auch die andere Seite in mir: die gute Seite, die Herzensgüte, die Sanftmut, die Liebe. Auch auf dieser Seite gibt es Dinge, die ich verborgen halte. Alles wird freigelegt.
Das macht mich verletzlich und bloß.
Es geht nicht ums Umdeuten dieser Worte: aber es geht ums Ganze. Es geht um den ganzen Menschen. Es geht um jeden einzelnen von uns und wie ich eingangs sagte: um das Hören von Gottes Wort, denn das Wort Gottes zeigt mir den Weg, um Ruhe und Frieden zu finden
Hören wir doch genau hin. Zuerst heißt es:
Sein Wort ist lebendig und kraftvoll, voller Energie: Lebenskraft pur.
Auf Gottes Wort hin ist es Licht geworden und es war gut.
Auf Sein Wort ist die Schöpfung entstanden und es war gut.
Auf sein Wort ist der Mensch entstanden zu Seinem Ebenbild und es war alles sehr gut.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns: Sein Sohn Jesus ist das lebendige Wort Gottes.
Das lebendige Wort will Leben, gutes Leben. Das Wort „gut“ kommt von „Gott“. Ein Leben mit Gott ist ein gutes Leben. Auch wenn es nicht immer ein einfaches und bequemes Leben ist.
Wie passt das aber zu dem zweischneidigen Schwert? Dem doppelt scharfen Schwert?
Vielleicht hilft ein Bild:
Der Arzt muss ins Fleisch schneiden um ein Geschwür herauszuholen. Er muss verletzen, damit der Mensch genesen kann.
Das heißt nicht, dass Gott uns einfach verletzen will, es heißt, dass Er heilen will. Gott ist nicht gegen mich, Er ist für mich.
Christsein birgt viele Freuden. Aber es ist kein Spaziergang. Christsein ist ein Reinigungsweg.
Wenn wir uns der Bergpredigt oder den 10 Geboten stellen, werden unsere Schattenseiten sichtbar.
In dem heilsamen Erkennen, zu was wir fähig sind oder sein könnten, liegt Ehrlichkeit, die Wahrheit über uns. Und es liegt an uns, wie wir leben wollen. Es ist unsere Entscheidung. Gott lässt uns unseren Willen.
Ich weiß noch, wie ich in ein fast bodenloses Loch fiel, als mir klar wurde, wie gemein, wie boshaft, wie verurteilend ich sein kann – und das mal offensichtlich, mal ganz subtil. Egal was der Auslöser war, oder wie verletzt ich mich vorher fühlte. Ich war gemein – ich sah die Schwärze meiner Schattenseiten. Meine andere Wahrheit, die ich auch bin!
Als ich mich so erkannte, fühlte ich mich voller Scham und vor mir selber bloßgestellt.
Bei Gott liegen wir offen, nackt und bloß. Aber Gott stellt uns nicht bloß. Nicht vor sich, nicht vor anderen, nicht einmal vor uns selbst, obwohl wir wissen, wie es in uns aussieht!
Bei den Worten „nackt und bloß“ sehe ich ein kleines Baby vor mir: Es rührt mich an, ich würde es aufnehmen und es umhüllen und nähren.
Wenn ich schon so fühle – wie viel mehr dann Gott, wo wir Seine Geschöpfe sind?
Ein Baby findet Ruhe bei seiner Mutter, sie liebt es und versorgt es.
Das will Gott für uns, dass wir Ruhe und Frieden bei Ihm finden, weil sein Wort uns versorgt: mit allem, was wir brauchen:
Mit Lebendigkeit, Kraft und Schärfe:
Lebendigkeit: das Leben, den Atem, das, was wir von Gott geschenkt bekommen haben, unsere ganze Existenz: dass ich ich bin, weil Er es so wollte: das ist an sich schon unglaublich!
Kraft: denn mit Seiner Gnade und Vergebung, mit Seiner Liebe und Seinem Licht ist mein Leben bunter, zuversichtlicher, geliebter, geborgener. Das gibt mir Kraft und Halt.
Damals habe ich an mir gezweifelt, ob ich überhaupt Gottesdienste halten darf, wenn ich von Frieden und Liebe predige und selber so gemein bin. Dass Gott mir vergibt, war nicht meine Frage – aber ob ich mir selbst vergeben kann. Bei jedem „vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ zweifelte ich an mir. Es war ein mühsamer Prozess des Akzeptierens und Integrierens. Ich habe mit Gottes Kraft gelernt, wütend sein zu können, ohne gemein zu sein. Offen ausgesprochene Wut kann eine verändernde Kraft sein.
Schärfer: ich kann mich befreien lassen von all dem Ballast, den ich vielleicht jahrelang mit mir herumgetragen habe.
Was im Verborgenen mich verbogen hat, kommt in Gottes gutes Licht und wandelt sich. Das kann schmerzhaft sein, aber auch befreiend. In der Rechenschaft vor Gott geht es mehr ums Erkennen, Freilegen und manchmal Geschwüre Abschneiden lassen.
Ich bin ich, mit alle meinen Seiten, ich bin Licht und Schatten. Aber mit mir ist Gott – Seine lebendige Kraft und Seine heilende Liebe.
Er ist es, der mich richtet, indem Er mich wieder aufrichtet, mich ausrichtet und mir den rechten Weg weist. So werden wir immer mehr zu dem Menschen, den Er von Anfang an in uns gesehen hat. Das schenkt uns Frieden mit uns selbst und mit Gott.
Schärfer auch, weil es dadurch schmackhafter wird: wir sind nicht „wischi – waschi“ oder Einheitsbrei!
Christsein bedeutet Stellung zu beziehen. So hat es Jesus auch getan. Gottes Wort – Jesus sagt uns, was gut ist. Gegen Ungerechtigkeiten, Missbrauch, Hunger, Armut und vieles mehr angehen- immer wieder! Manchmal heißt es auch, Stellung zu mir selbst beziehen!
Gottes Wort zu hören – wirklich zu hören! – schenkt uns einen Frieden, wie es sich Gott für uns wünscht, schenkt uns eine Gemeinschaft mit Ihm, eine innige Liebe zu Ihm und zu unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen.
Auf Gottes Wort zu hören ist lebenswichtig für uns. Wir „gesunden“ an Seinem Wort. Wir heilen an Seinem Mahl. Denn wie das Wort unser Herz erreicht und Brot und Saft der Trauben zu unserem Leib wird, so nah will uns Gott sein und uns heil machen und Heil schenken.
Gott sei Dank. Amen.
Predigt: Barbara Neudeck, Diakonin